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Ich weiss nicht mehr wann ich begann, den wichtigen Menschen in meinem Leben einen bestimmten Klingelton zuzuweisen.

Vielleicht weil Klänge schon immer mein Dasein bestimmten und sie gewissen Lebensmomenten die nötige Bedeutung einhauchen oder ihre Dramatik unterstreichen, die ich auch einfach manchmal herbeiführen möchte.

Ohne musikalische Untermalung wären die jeweiligen Augenblicke wohl auch gar nicht so episch wirkend.

Die Resonanz fehlt und wir schwingen nicht mit den gegebenen Umständen mit, da unsere Spiegelneuronen sich nicht dem Gegenüber und dem Sachverhalt zur Verfügung stellen. Musik hilft da enorm.

So macht das ja auch die Filmindustrie. Sie macht sich unser neurologisches System zum Untertanen. Bisschen Horror gefällig? Dramatische Bassline, kreischende Geigen und ein zitterndes Snare – et voila. Wolke 7 in zuckerrosarot bevorzugt? Such dir selbst ein herzschmerzerweckendes Instrument aus. Ich persönlich bevorzuge da ja die Hammondorgel.

Vorteil des personifizierten Klingeltones:

Du stürzt nicht mehr überhastet aus der Dusche, haust dir dein Knie am Toilettenrand an und reisst den Duschvorhang runter, wenn dein Smartphone pingt oder pongt. Denn du weisst – es ist nicht ER. Du shampoonierst also in Ruhe weiter.

Du glaubst einen Zustand gefunden zu haben, der in seiner Beschaffenheit an Vorteilen überwiegt. Vielleicht gibt es dir sogar eine Art Sicherheit, dieses latent ruhige Gefühl, etwas ein Stück weit unter Kontrolle zu haben, das sich nicht kontrollieren lässt. Denn wie sollte sich Kommunikation über ein weiteres Medium, das sich stets immer wieder als solch schrecklich verzerrender Filter erweist, kontrollierbar sein? Niemals. Zum Glück.

Und dann sind es wieder diese Tage, an denen du, entgegen allen New-Age-Ratgebern, das Spiel des „Kontrafaktischen Denkens“ über dich ergehen lässt. Entgegen allen Achtsamkeitstheorien, den gutgemeinten Eckhart Tolle RatSCHLÄGEN „Sei im Hier und Jetzt“. Denn du fragst dich:

Was wäre wenn?

Ja, was denn eigentlich?

Vera F. Birkenbihl, Motivationstrainerin, sagt dazu:

„Wie können wir wissen, dass Etwas besser wäre, wenn es anders wäre?“

(https://www.youtube.com/watch?v=PIKuDKxyc24)

 

 

Cora E., das rappende Schlüsselkind meint dazu nur ganz abgebrüht:

„Es wäre nicht so wie es ist, wär es damals nicht gewesen wie es war.“

(https://www.youtube.com/watch?v=5_M7abyCVQE)

 

Doch was, wenn das HIER und JETZT nicht dem Vergangenen gerecht werden kann? Wie bitte soll denn dann dieser Zustand ausgehalten werden? Wie damit umgehen, dass dein Telefon in allen Tönen des Regenbogens pingt, jedoch nicht in seinem?

Du kannst Sport machen, einkaufen, dich betrinken, die Nacht durchtanzen. Du kannst viele Kilometer weit fahren, um Freunde zu besuchen und dich ganz in ihr Leben eingeben. Nur um deine innere Begierde „nicht fühlen zu müssen“ kurzzeitig zu betäuben. Wenigstens für einen Moment lang. Trotzdem hast du ständig die Bilder vor deinem inneren Auge, der vergangenen Szenarien. Ein bestimmter Weckton, die Erinnerung an das Aufwachen aus einem Alptraum oder das unbändige Verlangen in den Augen des Anderen.

Entfliehen auf Zeit sei dir dann angeraten, jedoch mit dem Wissen, dass bei deiner Rückkehr, das Aufprallen in der Realität nur noch schwerer zu ertragen sein wird, als vor deinen kläglichen Ablenkungsmanövern.

Und ums Himmels Willen beginne keine Kommunikationsanläufe auf deinen selbstkasteienden Ablenkungsmanövertrips. So verwirrt wie du dann dein „Hallo-Versuch“ starten wirst, geht dies bestimmt ganz bipolar auf dein Gegenüber wirkend nach hinten los (der Schuss).

Im besten Falle ignoriert er sogar deine letzte Sprachnachricht, mit der du deinem letzten Satz so viel Bedeutung einverleiben wolltest. So stehst du da, mit runtergezogener Hose und das Einzige was bleibt, ist bitte ja nicht das Gleichgewicht verlieren und vornüber auf die Nase zu fallen.

(Haben Hosen in Kniekehlen hängend so an sich.)

Ich wäre ja Whats App sehr dankbar, wenn es das Gadget „schreibt nicht…“ erfinden würde.

schreibt nicht…

Haha.

Ha.

Es wäre dann so transparent. Anstelle dessen lacht dir diabolisch ein „online“ entgegen und du hältst diesen Zustand im Kopf nicht aus.

Natürlich wissen wir alle, dass wir den neuen Medien viel zu viel Raum in unserem Leben lassen. Wir wissen, dass die persönliche Kommunikation immer noch den höchsten Stellenwert einnimmt. Wir sehen die Mimik und Gestik unseres Gegenübers. Wir hören seinen Tonfall und können bei Unklarheit direkt nachfragen, wie die Aussage nun zu verstehen sei? Doch auch schon dies kann äusserst komplex sein und erfordert teils grossen Mut. Was gibt es Schöneres, als miteinander zu sprechen und kurzweilig in anderen Sphären abzutauchen? Die Weltanschauungen des Gegenübers kurz durch einen Vorhangspalt betrachten zu dürfen und Einblick in eine andere Wahrnehmung erhalten zu dürfen? Und vor allem – wir spüren unser Gegenüber und riechen es. Unsere Pherhormone spielen nicht länger Verstecken und zeigen sich von ihrer besten Seite. Yay!

 

Zürück zum kontrafaktischen Denken…

Aber was wäre denn , wenn es nie wieder zu einem solch persönlichen Austausch kommen sollte? Was wäre, wenn all die geteilten Gedanken und Lieder, die zum weiter sinnieren und philosophieren angeregt haben, bereits vorbei sind? Was wäre wenn…?

Natürlich kreiert in genau diesem Moment das Leben einen Zustand, der dein Telefon in dem erwünschten Ton aufplingen lässt.

Was darauf folgt ist wie tiefes achterbahnmässiges Fallen in eine sternenklare Nacht.Magenerven ziehen sich zusammen. Dein Herz pocht bis zur Halsschlagader.

Du nimmst es in die Hand, du freust dich so sehr.

Du schaust auf dein Display in freudiger Erwartung, dass sich dein Gemütszustand alsbald erhellen wird.

Du freust dich auf Antworten auf deine letzten Fragen und vielleicht auch Reaktionen auf deine vielleicht zu fordernden Ansprüche.

Und dann­… Dann steht da einfach der FALSCHE Name, zum RICHTIGEN Klingelton!

Einfach so.

Falsch.

Und du sitzt nun auch auf der falschen Achterbahn. Nicht auf der Guten jedenfalls. Eher auf der, nach der du dich übergeben musst.

Ein Name, den du jahrelang nicht mehr gelesen hast mit dem richtigen Ton.

Wie kann sich denn bitte etwas so richtig anfühlen und anhören, aber gleichzeitig so falsch sein?

Ich stelle nun die Vermutung an, dass der Reigen des Lebens dir wiedermal ans Bein pissen wollte. So ganz grosskotzig halt. Das Leben war früher bestimmt mal Porschefahrer mit zu kleinem Schniedel. Ganz bestimmt. Ätsch! Verarscht! Herzlichst – dein Leben.

Das Leben zeigt dir, dass Menschen von früher an Bedeutung verlieren. Du besetzt ihre übriggebliebenen Gedankenfacetten, die sie in dir zurückgelassen haben, mit neuen für dich wichtigen Inhalten. Du verknüpfst ihr Gedankengut solange mit neuen Zuständen, bis sie sich nicht mehr so schmerzhaft in dir anfühlen. Bis all das Vertraute ganz verschwommen und fremd ist. Du weisst, dass nie wieder jemand in dir dasselbe Gefühl und die gleiche Geborgenheit auslösen kann. Deshalb konstruierst du um all die vergangenen Erinnerungen so lange etwas Neues, bis du es ertragen kannst. In deinem Inneren wirst du zwar immer wissen, dass du aus dem Vertrauten etwas Neues gemacht hast, damit du es überhaupt aushalten kannst. Ein von dir nicht tapezierter Erinnerungsfetzen wird immer noch hervorschauen und dich mit deinem längst vergangenen Abgründen in Berührung bringen wollen. Aber es ist besser als Nichts tun. So tun als ob.

 

Du besetzt also neue Menschen mit alten Tönen, die ihre Bedeutung von damals längst verloren haben ohne, dass es dir bewusst ist. Diese Tatsache macht den ganzen Sachverhalt noch verrückter, als er eh schon ist.

Wichtiger Mensch – bestimmter Ton – vergessen müssen um jeden Preis – Jahre vergehen – du überlebst – neue Menschen, neue Töne – neuer Mensch, DIESER Ton – diesen Ton vermissen – ihn so fest erklingen hören wollen – er erklingt – alter Mensch.

Wie gut, dass dich das Leben dann daran erinnert : Klingt richtig, liest sich falsch?

Heisst:

Alles geht vorbei.

Auch das Warten auf DEN Ton mit dem RICHTIGEN Namen.

Und Scheiss auf Personifizierungen aller Art! Ich bin personifiziert genug.

 

§977 · Juli 9, 2017 · Allgemein · (No comments) ·


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