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„she had bits of soul in everything. from her laugh to her tears and in a world of plastic smiles and corrugated feelings, you couldn´t help but feel it.“

„i get lost in you, but i don´t feel lost at all. I feel at ease and at HOME. and that ist why you are never really gone from me. you will always be that familiar STREET where a warm HOUSE waits.“

-JmStorm-

 

In Laufschritttempo gehe ich durch meine Strasse in Richtung Tramhaltestelle. Mein Blick schweift nach oben zu den Baumkronen, welche die wundervolle Querstrasse, eine wunderschöne Allee, zu meiner Heimatstrasse besäumen. Als ich vor einem halben Jahr neu durch dieses Quartier ging, mit so viel Neugierde in meinem Herzen, Kreativität in meinem Geiste, Mut in meiner Seele und ein Quäntchen Naivität in einem Schublädchen meines Solarplexus, trugen die Bäume noch schwere, kraftgeladene Knospen. Die Explosion der Blüten und Früchte stand ganz nahe bevor.

Nicht nur die Bäume trugen neue Wahrheiten und neues Leben in sich, auch ich hatte wortwörtlich meinen ersten eigenen Frühling in Angriff genommen.

Einen gefühlten Wimpernschlag später, streifen meine hohen schwarzen Schuhe mit ihrem klackernden Absatz bereits die ersten welken Blätter, durchstreifen ein Laubmeer aus Braun- und Gelbtönen, bahnen sich ihren altbekannten Weg zur Haltestelle. Nach einem ganzen halben Jahr…

Mein neuer marineblauer Umhang kokettiert mit meinem roten französischen Perret, rote Lippen, rote Nägel, kaum zu glauben, wie französisch ich mich fühle, in einer Schweizer Stadt. Der Herbst zieht auf und erhebt mahnend den Zeigefinger – bald ist es Zeit für Einkehr sowie innerliche Besinnung. Eine leise Aufforderung meines Verstandes, der sich Gehör zu verschaffen versucht, die kommenden Wintermonate als Chance zu nutzen, Projekte, Themen und Lebensgefühle brach zu legen.

Doch ich kann nicht brach liegen! Ich will nicht welken! Ich will nicht fallen! Ich will nicht stillstehen!

In jedem Anfang wohnt ein Zauber inne – ein Sprichwort, welches mich immer wieder dazu anhält, über Neubeginn, Veränderung und Endzeiten nachzudenken. Wo sich eine Tür schliesst, öffnet sich eine neue und in diesem ganzen halben Jahr, haben sich mir Türen und Tore geöffnet und wurden auch wieder vor meiner Nase zu geknallt, als wären Stopphalterungen an Türen noch Gegenstand und leise Vision eines Zukunftsentwickler – eben dieser Stopp-Türzuschlag-Halterungen.

Und nun in diesem Herbst, fühlt sich alles so sehr nach Frühling an – die Welt steht Kopf und die Zeit scheint still zu stehen. Was wäre, wenn wir die Jahreszeiten und den Jahresablauf umdrehen würden? Lasst uns die Zeiten neu definieren, Kreatoren werden, von neuen Abläufen und den Gehzeiten des Lebens entgegenwirken.

Mir kommt eine Frau mit Weinflasche entgegen, sie trägt weisse kurze Jogginghosen, dazu Turnschuhe und ein graues Kapuzenjäcklein. Wo ihr Weg sie wohl gerade hinführt an diesem sonnigen Sonntagabend? Vielleicht warten ein grünes Churry, von einem abgehetzten Fahrradkurier zugestellt und der obligate Tatort zu Hause auf sie?

Ein herunterwirbelndes Blatt verirrt sich auf meiner Schulter und streift dabei sanft meinen Nacken. Eine zarte Erinnerung daran, dass die Welt zu welken beginnt. Doch ich möchte nicht welken!

Ich möchte wirken – entgegen allem, was ich bereits glaubte zu wissen. Ich möchte den welkenden Blätter, dem kalten Windhauch, dem müden goldenen Herbstlicht entgegenwirken, mit einem überdimensionalen frühlingshaften Strahlen.

Ich gehe an einem geöffneten Fenster vorbei, feines Licht erhellt eine schöne Altbauwohnung, ein Mann in auberginefarbenem Hemd steht hinter der Glasscheibe und telefoniert wild gestikulierend. Ob er ein Geschäftstelefonat führt? Ob er bei der Annahme des Gesprächs seinen Nachnamen mit Nachdruck unbewusst geschäftlich hart betonte, so wie es eine meiner Freundinnen stets tut?

Ein ganzes halbes Jahr kann so viele Veränderungen in sich tragen – es wird Zeit, dass wir uns dessen bewusster werden. Also halten wir das langsamer werdende herbstliche Lebenskarussell dazu AN, geben ihm den nötigen Perpetum Mobile Anstups und lassen den Herbst in einen neuen Frühling transformieren. Was sind die neuen Ziele? Welche Gefühle wollen gelebt werden? Welches Laub darf noch nicht zu Boden fallen? Wo brauchen die persönlichen Frühlingsknospen noch Dünger, um diesen Herbst in voller Blüte stehen zu dürfen?

Kurz vor meiner Tramhaltestelle beobachte ich eine Dame, wie sie in einem hübschen Seidenkleid auf dem Gehsteig steht, ein Lächeln im Gesicht, wie es eigentlich nur an Frühlingstagen möglich ist. Sie wartet offensichtlich auf den Herrn in hellblauem Shirt, der vermeintlich nonchalant auf sie zu geht. Was wohl die Geschichte der Beiden sein mag, frage ich mich? Ich blicke zurück und sehe, wie er kurz vor ihr stehen bleibt und ihr ein Kompliment macht. Ihr Gesicht errötet, die Spannung in der Luft ist förmlich greifbar, auch für mich, als völlig Unbeteiligte an dieser Geschichte.

Beim Zurückblicken bin ich leicht von meinem Weg auf dem Trottoire abgekommen und kollidiere beinahe mit einem Fahrradfahrer. Das königsblaue Rad mit seinen eleganten caramelbraunen Lenkgriffen und dem gleichfarbenen Sattel, passen perfekt in dieses Herbstszenario. Hätte es einen Namen, dieses Rad, welcher wäre es denn?

Ich warte auf meine Tram. In einem Auto mir gegenüber, sitzen eine Frau und ein Mann, sie hören ganz laut Musik und durch den Fussgängerstreifen dazu gezwungen, anzuhalten, sehe ich, wie die beiden lachen und sich zu den Klängen von einem alten Rapsong überschwenglich bewegen. Autodisco im Herbst – auch Ausdruck eines neuen Frühlings? Die Szenerie erheitert mich jedenfalls. Wo wird dieser Kleinwagen sie wohl hinbringen? Werden sie das Abendessen in einem italienischen Restaurant einnehmen und er wird ihr den Stuhl an den Tisch rücken, nachdem sie sich gesetzt hat?

Die grüne Tram kommt vor der Kirche zum Stehen und ich drücke den roten Türknopf. Ein Mann mit schwarzem Cap steigt mit mir ein, sein Parfüm nimmt meine Sinne ein. Ein tiefer Duft, der wohl Lachen und Tränen gleichzeitig auslösen könnte, wenn ihn das richtige Gegenüber riecht. Er setzt sich auf die Querbank und winkt nach draussen. Mein Blick folgt seiner Geste und in der Ferne, neben der Kirche, kann ich eine Frauengestalt wahrnehmen, die seinen Gruss erwidert und danach schnellen Schrittes davongeht. Ein Abschied für immer? Sind deren Blätter bereits durch das Ökosystem zersetzt und zu neuer Erde transformiert? Oder entwachsen dieser Geschichte gerade erst feine Äste, an denen sich grünste Blätter der Hoffnung entfalten werden? Wer kann dies schon wissen? Ich schiebe alle diese Gedanken weg und blicke in meinen neuen frühlingshaften Herbst, lasse jegliche Angst und Bedenken hinter mir und schaue nach vorne, zum Himmel empor, der im goldenen Abendlicht mit seinen gelbgeküssten Wolken wohl gerade am Spielen ist – so wie wir es früher mit unserer Nintendo 64 gemacht haben…

 

§43 · Oktober 5, 2016 · Allgemein · (No comments) ·


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