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Vollbepackt mit Einkaufstüten stehe ich im Flur der ehemaligen Jugendherberge und vor mir warten drei enge Stockwerke mit unzähligen Treppen auf mich. Die erste Pause gönne ich mir und meinen von den Henkeln der Hipsterbeutel malträtierten Schultern bereits vor der ersten Eingangstüre. Diese führt ins Reich der Architekten. Zwei in unterschiedlichen Rottönen verschmierte Kussmünder zieren die sonst makellos weisse Türe. Ich ertappe mich dabei, wie ich zu schmunzeln beginne. War wohl mal wieder ne interessante Nacht bei der Lady, welche hier im Eifer des Partygefechts, die Türe zugeknutscht hat. Da wär mir ja persönlich der Lippenstift zu schade für…

Im ersten Stock schlägt mir Knoblauchduft und undefinierbar Leckeres entgegen. Samstagabend – es gibt noch Menschen, die kochen.

Im zweiten Stock, (da steht seit Jahren in dicken schwarzen Lettern „Hier“ an der Türe und ich denke jedes Mal: „Nein, da!“ wäre ein nettes Wortspiel für die unsrige Türe ein Stockwerk darüber) wie immer nichts auffällig Unangebrachtes. Keine Geruchs- oder Lärmbelästigungen, keine Kussabdrücke, keine Schuhe, über die es gilt, sich darüber zu hieven.

Im dritten Stock stellt sich dann endlich das Gefühl des „Nachhausekommens“ ein. Seit Monaten hängt die schwere Lampe an den drei Stromkabeln wie ein Damoklesschwert über dem verdreckten Eingangsteppich namens „Boris“. Für neunzig Rappen aus der Ikea kann da auch niemand eine ernsthafte Schmutzabwehrung erwarten, nee du! Bereits vor der Türe hört man Ben Hur (DJ), der seinem Hobby frönt und am Laptop seinen Sound für die Nacht im Club bereitmacht. Mir als Laie wurde dies mal von Menschen, die sich mit derartigen Geräuschkulissen auskennen, als „harte Undergroundmusik ohne Melodie“ beschrieben. Sei´s drum, es klingt auf jeden Fall interessant, böse und irgendwie passend für alles was hinter der Damokleslampe noch auf allfällige Besucher warten wird.

Ich sperre die Türe auf und mir schlägt der Undergroundsound ungefiltert entgegen. Er wabbert durch den ellenlangen Flur, dem sogenannten Catwalk (der Flur unserer Wohnung erstreckt sich über drei lange Wohnhäuser und ist eindrücklich) und aus der Küche schreit Dirk Dodge (Musiker)laut nach einem Mixer. Im Zusammenhang mit Küche und Mixer denken Normalos an Küchenmixer, so ein Teil, wo man sich Früchte reinschmeisst und leckere, abartig grüne Smoothies damit zaubert. Richtig! Diesmal ist auch solch ein Mixer damit gemeint. Es gab aber auch schon den Fall, dass sich Ben Hur einen Mixer kaufen gehen wollte und wir ihn alle erstaunt anschauten. „Habt ihr denn keinen Mixer in eurem Studio?“, staunte Pat Punch (ebenfalls Musiker) und gab ungefragt die besten Adressen der Stadt bekannt, an welche sich Ben Hur wenden könnte, um den preisgünstigsten, jedoch qualitativ hochstehendsten Mixer des Monats ergattern zu können. Ben Hur erstand seinen Mixer schliesslich bei einem Elektrofachgeschäft, dessen Namen wir hier nicht nennen werden – Abteilung Küchengeräte. Lektion der Stunde: Auch DJ´s wollen ab und an einfach nur einen Smoothie trinken, oder so.

Vesper Vesalius ( ebenfalls Musiker) kommt mir mit entsetztem Gesichtsausdruck entgegen. „Unsere Waschmaschine ist kaputt!!!“ „Nein!“, entfährt es mir, in gleichen Massen entsetzt wie er. Vor meinem inneren Auge sehe ich riesige Wasserlachen, die sich abwechselnd wie Ebbe und Flut durch unsere Toiletten rollen. Aufwischen, auswringen, fluchen, in Schweiss baden, eimerweise stinkendes Wasser auskippen, Telefonate mit Versicherungen, Kämpfe um Entfeuchtungsgeräte, nicht abschätzbare Kosten – etwa die Reihenfolge meiner Gedanken inklusive gefolgt von den dazugehörigen Horrorbildern. „Kaputt“, frage ich mit aufgerissenen Augen. „Ja, mann! Sie färbt alle Kleider rot!“, Vesper Vesalius greift sich dramatisch mit beiden Händen in seine, des Morgens kunstvoll mit dem Ministreckeisen gebügelten, Haare. Rot…Färbt rot…rot…Seine Worte hallen gefühlte dreissig Sekunden in mir nach. Bis ich deutlich ROT sehe! Ja natürlich! Jetzt ist die Maschine nun vollends im Arsch! Kaputt für immer! Bei so einer Rotfärbung, da ist sie reif für die Sperrmüllhalde. Müll! Hochprofessionell, wie mich das Zusammenleben mit den vier Musikern nun langsam gemacht hat, verkneife ich mir mein Grinsen und stelle erstmals meine randvollen Einkaufsbeutel zu Boden. Dirk Dodge schreit erneut etwas von „…und wo ist der Deckel zum Henker?“, aus der Küche und Ben Hur gibt seinem Finale kurz vor dem Clap mit frachtschiffähnlich, dröhnenden Geräuschen, den letzten Schliff. Ja, ich bin zu Hause, sagt meine innere Stimme erleichtert und auch erfreut. Alles wie immer – schööön!

Nach einer kurzen „How To Wash Your Clothes“ – Lektion für Vesper Vesalius (weisse Klamotten nie nie nie, auf gar keinen Fall und unter keinen Umständen – nein auch nicht wenn`s mal schnell gehen soll und auch nicht im Extraschongang(!), mit roten Baumwollsachen mit waschen), war die Waschmaschine als dann wieder repariert. Ging ganz fix. Schulterklopf für die Handwerkerin. Grins. Doppelgrins.

Ich gehe mit meinen Einkaufsbeuteln, randvoll gefüllt mit deliziösen Mitbringseln aus dem Supermarkt in die Küche. Dirk Dodge versucht sich an kunstvollen Zuckerrandgläsern zu seinen gemixten Margaritas (ich hoffe er hat Tequila verwendet) und geht summend und knirschend mit seinen Hauslatschen über ein Beet aus Zucker, Zwiebelschalenresten und Sirupklecksen. „Bonita, alles klar?“, strahlt er mit seinem typischen Dirklächeln mir entgegen und ich freue mich innerlich über seine gute Laune.

Auf dem Balkon sitzt Pat Punch mit unserem heissbegehrten 2L Wasserkrug – randvoll aufgefüllt mit kaltem Bier. Ich zücke den Bleistift und notiere auf meinem Weg hin zum Kühlschrank auf den WG-Einkaufszettel: Wasserkrüge. Richtige!

„Heute kommen kurz zwei, drei Freunde auf einen Drink vorbei und später gehen wir dann noch runter in die Ecke“, Dirk Dodge grinst breit über seinen Zuckersirup-Tellern und hält prüfend sein zweites Cocktailglas ins Sonnenlicht. Wichtig an diesem Satz und dessen Inhalt sind folgende Informationen, die sich erst nach langwierigem und intensivem Training decodieren lassen:

 

Freunde, zwei, drei = Um die zwanzig Stück, nicht weniger.

Vorbeikommen, kurz = Kommen gegen Mitternacht und bleiben stundenlang.

Drink, einen = Massloses Betrinken bis der Arzt (in unserem Fall die Polizeit) kommt.

Gehen, runter = Es werden noch viele weitere Menschen hochkommen.

Ecke, in die = Alle aus der Eckbar werden rausgehen und hochkommen im Stundentakt.

Ich nicke lächelnd um nicht zu sagen wissend und schaffe im Kühlschrank, welcher schon bessere Zeiten gesehen hat (das Türchen für die Gefrierablage ist abgebrochen und hängt haltlos in den Angeln), Platz frei für mein exquisites Carpaccio mit Parmesanhobeln und Rucolablättchen.

Eine blaue Glühbirne flackert aus einem der Zimmer und ich stehe im ansonsten dunklen Flur. Die Wohnung ist durchzogen von einem Geruchsmix aus Rauch, Schweiss, Bier und andersartigen alkoholischen Getränken. Meine Schuhe kleben am Boden und machen schmatzende Geräusche auf meinem Weg von der Haustüre zur Küche. Zwei Spatzen flattern augenblicklich aus der Küche hinaus auf den Balkon, als ich die Türe öffne. Auf dem Sofa auf dem Balkon schläft jemand. Kapuze hochgezogen und Arme um sich herum verschränkt. Ein Laptop daneben, welches lautstarke Bässe von sich gibt. Ich lege meine Schlüssel neben die Spüe und lasse meinen Blick durch den Raum schweifen. Anscheinend gab es Fajitas zum Abendessen, gefolgt von diversen Biersorten-Desserts. Unser Barwagen steht schräg in der Küche, die Flaschen darauf sind horizontal und leer. Unter dem Tisch liegen um die hundert Zigarettenfilter und Zigarettenpapierchen. Die frische Morgenluft weht hinein und lässt mich leicht frösteln. Der Morgen bricht langsam an. An der Schnur, an dem normalerweise ein Feuerzeug festgezurrt ist, hängt eine leere Bierdose mit einem Stück Papier und folgender Aufschrift: „Nehmt DAS ihr Opfer! Dies ist die Rache für die Mozarella-Attacke!“ Am Boden liegen leere Mozarellaverpackungen – mir schwant Böses. Als ich mich über das Geländer lehne, sehe ich unten in den Rosensträuchern knapp neben dem Ping-Pong-Tisch, drei verdreckte Mozarellakugeln liegen. Alles klar. Schlacht um den Ping-Pong-Tisch. Schlacht zu Mozarella. Vielleicht gabs auch deshalb Fajitas und keine Pizzen, überlege ich scharfsinnig.

„Entschuldigen Sie!“. Ich fahre erschrocken zusammen (weil ich SIE genannt werde) und drehe mich in Richtung Küche. Ein junger Man anfangs Zwanzig steht auf einem Kinderroller vor mir. In der linken Hand hält er zusätzlich ein leeres Margaritaglas mit Zuckerrand. „Ich….. bin im…falschen Stock… gelandet.“, kommt es mühselig aber hochkonzentriert, darauf bedacht jede Silbe richtig auszusprechen, über seine Lippen. Er macht einen gefährlich aussehenden Schwenker nach rechts gegen unsere Pinga-Kaffeemaschine. Kurz bevor es ihm hochkommt, dann die Frage, aller Fragen: „Wo sind die Kotzschüsseln?“

To be continued…

 

§17 · Oktober 9, 2015 · Allgemein · (No comments) ·


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